Bleiben IREB und BABOK auch im KI-Zeitalter unverzichtbar?

by | 23.07.2025 | Requirements Engineering

Künstliche Intelligenz verändert, wie wir arbeiten. Tools wie ChatGPT oder GitHub Copilot können ganze Textpassagen schreiben, Code generieren oder Daten interpretieren. Unternehmen setzen große Hoffnungen in diese Technologien, um ihre Prozesse effizienter zu gestalten und ihre Produkte schneller marktreif zu machen. Doch damit stellt sich auch eine berechtigte Frage: Werden diese Tools und automatisierte Assistenten das klassische Requirements Engineering überflüssig machen? Oder anders gefragt, brauchen wir in einer Welt voller Prompts und Machine Learning überhaupt noch Standards wie IREB (International Requirements Engineering Board) oder BABOK (Business Analysis Body of Knowledge)?

Gerade im Spannungsfeld zwischen menschlicher Analyse und KI-gestützter Automatisierung zeigt sich, wie wichtig stabile Grundlagen sind. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein neues Zusammenspiel.

Standards schaffen Klarheit für Menschen und Maschinen

IREB und BABOK stehen seit Jahren für strukturierte Ansätze im Anforderungsmanagement. IREB bietet ein methodisches Fundament für alle, die Anforderungen systematisch erheben, dokumentieren, prüfen und verwalten. BABOK geht einen Schritt weiter: Hier geht es nicht nur darum, Anforderungen korrekt zu erfassen, sondern sie auch im Unternehmenskontext zu verankern. Welche strategischen Ziele stehen dahinter? Wie erzeugt ein Feature echten geschäftlichen Nutzen?

Diese Fragen sind heute aktueller denn je. Denn KI-Systeme agieren nicht im luftleeren Raum, sie brauchen Orientierung. Wer keine sauberen Anweisungen formuliert, darf sich nicht wundern, wenn die KI am Ziel vorbeiarbeitet. Das alte „Garbage in, garbage out“ gilt auch heute noch, allerdings ist der Output inzwischen deutlich komplexer.

Vom Requirements Engineer zum Prompt Engineer?

Prompt Engineering wird oft als neue Disziplin gesehen, doch bei genauerer Betrachtung erkennt man viele Parallelen zum klassischen Requirements Engineering. Ein guter Prompt muss klar formuliert, kontextreich eingebettet und präzise sein. All das sind Eigenschaften, die zertifizierte Requirements Engineers oder Business Analysten bereits für Anforderungen kennen. Das führt dazu, dass die Rollen verschwimmen. Wer Anforderungen präzise definieren kann, bringt beste Voraussetzungen mit, um auch KI-Modelle gezielt zu steuern.

Das bedeutet in der Praxis, dass die Fähigkeit, Anforderungen in verständliche, strukturierte Einheiten zu zerlegen, nicht überholt ist, sondern sogar wichtiger wird. Denn moderne KI-Systeme benötigen nicht weniger, sondern mehr Struktur. Die scheinbare Intelligenz der Maschinen beruht auf klaren Eingaben, nachvollziehbaren Erwartungen und einem verlässlichen Rahmen. Und genau diesen Rahmen liefern IREB und BABOK.

Darüber hinaus: Die Verantwortung für das Ergebnis liegt weiterhin bei dem Projektmitarbeitenden. Auch wenn die KI Vorschläge liefert oder Entscheidungen vorbereitet, müssen diese von Menschen interpretiert, bewertet und getroffen werden. Das erfordert nicht nur technisches Verständnis, sondern auch methodische Grundlagen, die durch Standards vermittelt werden.

Warum KI allein nicht ausreicht und Standards den Unterschied machen

KI kann zwar repetitive Aufgaben übernehmen, Texte zusammenfassen oder erste Entwürfe liefern, aber sie versteht keine impliziten Erwartungen. Sie erkennt keine unausgesprochenen Interessen in Stakeholder-Interviews. Und sie trifft keine bewussten strategischen Entscheidungen. Hier stoßen selbst die besten Modelle an ihre Grenzen.

Genau diese Lücken füllen Standards wie IREB und BABOK. Sie bieten Projektteams konkrete Werkzeuge, um den Kontext zu erfassen, Zielkonflikte zu identifizieren und Anforderungen im Gesamtbild zu überblicken. Außerdem bieten sie Strukturen, um neue Anforderungen flexibel und dennoch nachvollziehbar zu verwalten – eine zentrale Voraussetzung in dynamischen Projekten.

Projekte brauchen Regeln und Menschen, die diese anwenden können

Projekte, die mit KI-Unterstützung umgesetzt werden, werfen darüber hinaus neue Fragen auf: Wie transparent sind Entscheidungen, die auf Machine Learning beruhen? Wie lässt sich ethische Verantwortung in automatisierte Systeme integrieren?

Zwar bieten Standards wie IREB und BABOK noch keine fertigen Antworten auf all diese Fragen, sie schaffen jedoch den methodischen Rahmen, um genau dort systematisch anzusetzen. Sie geben Projektteams das nötige Wissen, um Anforderungen nachvollziehbar zu dokumentieren, Entscheidungspfade festzuhalten und regulatorische Vorgaben zu erfüllen. Und sie können, sinnvoll weiterentwickelt, auch ethische Leitplanken integrieren.

Fazit

Der Einsatz von KI verändert die Art und Weise, wie wir Projekte planen und durchführen, Anforderungen formulieren und Entscheidungen treffen. Er ersetzt jedoch nicht die Grundlagen eines guten Anforderungsmanagements. Im Gegenteil: Gerade weil KI-Tools nur so gut sind wie ihre Eingaben, werden Standards wie IREB und BABOK zur Voraussetzung für nachhaltige Projekte.

Zertifizierungen bleiben also relevant, nicht trotz, sondern wegen der Nutzung von KI-Modellen. Sie qualifizieren Menschen dafür, Anforderungen verständlich, strategisch und zielgerichtet zu formulieren. Und sie helfen Unternehmen dabei, neue Technologien verantwortungsbewusst einzusetzen.

Wer seine Teams für die Anforderungen von morgen aufstellen möchte, sollte deshalb auf bewährte Standards setzen und diese gezielt mit neuen Kompetenzen verbinden. Ein praxisnahes Fundament bietet dabei unser CPRE-Seminar bei microTOOL. Ideal für alle, die Requirements Engineering professionell und zukunftssicher anwenden möchten.